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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.03.2007
Aktenzeichen: 4 Ws 148/07
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Zum Beschleunigungsgebot in Haftsachen.
Beschluss

Strafsache gegen N. H., zur Zeit in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Münster,

wegen gewerbsmäßigen Betruges u.a.,

hier: Haftbeschwerde des Angeklagten.

Auf die (Haft-)Beschwerden des Angeklagten vom 6. bzw. 7. März 2007 gegen den Haftfortdauerbeschluss der 12. Strafkammer des Landgerichts Münster vom 5. März 2007 hat der 4 . Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses und des Nichtabhilfebeschlusses vom 9. März 2007, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausgeräumt werden, auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe:

1. Der Senat hat durch Haftprüfungsbeschlüsse vom 30. August und 6. Dezember 2005 das Vorliegen des dringenden Tatverdachts und der Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr unter näherer Darlegung bejaht. In diesen Beschlüssen ist auch ausgeführt, dass bis dahin wesentliche Verzögerungen des Verfahrens, die der Justiz anzulasten sind, nicht feststellbar sind. Der dringende Tatverdacht und das Vorliegen der Haftgründe ist durch den bisherigen Gang der Hauptverhandlung offenbar nicht in Frage gestellt. Diese Haftvoraussetzungen sind von der Verteidigung im Haftaufhebungsantrag vom 5. März 2007 und den Beschwerdebegründungen vom 6. bzw. 7. März 2007 ausdrücklich vom Angriff ausgenommen worden. Bei dieser Sachlage hat die Strafkammer zu Recht zu diesen Haftvoraussetzungen nicht näher Stellung bezogen, zumal eine Haftbeschwerde während einer laufenden Hauptverhandlung auch nicht zu einem Schuldinterlokut führt.

2. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft, die nunmehr seit dem 20. Februar 2005 ununterbrochen andauert, ist weiterhin verhältnismäßig. Versäumnisse oder Verzögerungen der Justiz, die zur Aufhebung des Haftbefehls nötigen, liegen nach Ansicht des Senats nicht vor.

Die Strafkammer hat nach Ablauf der Stellungnahmefrist bis zum 30. November 2005 zur Anklage vom 18. Oktober 2005 das Hauptverfahren am 30. Januar 2006 eröffnet und bereits während der Stellungnahmefrist die Planung und Koordinierung der Hauptverhandlung begonnen, wobei die möglichen Hauptverhandlungstermine mit insgesamt elf Verteidigern abzustimmen waren. Die Hauptverhandlung hat sodann am 20. Februar 2006 begonnen, wobei, wie sich aus der Verhandlungsübersicht der Strafkammer in ihrem Beschluss vom 5. März 2007, deren Richtigkeit von der Verteidigung nicht in Frage gestellt worden ist, ergibt, dass ganz überwiegend nahezu ganztägig verhandelt worden ist bei allenfalls zwei sog. Sprungterminen.

Bei der an Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu messenden Verhandlungsdichte liegt auch unter Berücksichtigung der nunmehr seit mehr als drei Jahren andauernden Untersuchungshaft noch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 29. Dezember 2005 (www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen = StV 2006, 81 = NJW 2006, 295) ausgeführt, dass bei absehbar umfangreichen Verfahren wie dem vorliegenden, in denen sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, das Beschleunigungsgebot in Haftsachen stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche erfordere (vgl. BVerfG, a.a.O., Absatz 64). Dabei müssten, je weiter in die Zukunft eine derartige Planung reiche, regelmäßig im Verlauf einer Hauptverhandlung auftretende Terminierungshindernisse durch entsprechende Koordinierung, beispielsweise von Urlaubsterminen, Rechnung getragen und damit ein zügiger Verlauf der Hauptverhandlung sichergestellt werden.

dass die Strafkammer mit ihrer Terminierung gegen diese verfassungsrechtlichen Grundsätze verstoßen hat, ist nicht ersichtlich. Zunächst ist festzustellen, dass die Strafkammer in der Zeit vom 20. Februar 2006 bis zum 12. Februar 2007, also innerhalb von 51 Wochen, insgesamt 57 Hauptverhandlungstermine durchgeführt hat, was einer Terminsdichte von 1,12 Hauptverhandlungstagen pro Woche entspricht. Zu berücksichtigen sind weiter sieben Termine, die aus wichtigen Gründen, davon vier wegen Erkrankung von Personen, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, ausfallen mussten. Berücksichtigt man auch diese Termine, so liegt die Verhandlungsdichte pro Woche bei 1,25. Nach Ansicht des Senats sind auch die Zeiten nicht außer Acht zu lassen, in denen den auf freiem Fuß befindlichen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einzuräumen war, Erholungsurlaub wahrzunehmen, mithin knapp zwei Wochen zu Ostern 2006, vier Wochen in den Sommerferien 2006, eine Woche in den Herbstferien 2006 und eine Woche zu Weihnachten 2006. Gerade hierdurch ist die Strafkammer ihrer Koordinierungspflicht nachgekommen. Angesichts der erheblichen Zahl der betroffenen Verfahrensbeteiligten ist gegen den Umfang der ermöglichten Urlaubszeiten nichts einzuwenden und mit der Verhandlung einer solch langwierigen Umfangssache unvermeidbar verbunden. Tatsächlich konnte somit acht Wochen nicht verhandelt werden, was die Verhandlungsdichte auf rund 1,5 Verhandlungstage pro Woche erhöht.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Strafkammer durch die zeitgleich eingegangene Wirtschaftsstrafsache gegen R. u.a. - 12 KLs 7/05 - zusätzlich und unvermeidbar besonders stark belastet ist. Insoweit wird insbesondere auf die Ausführungen im Nichtabhilfebeschluss der Strafkammer vom 9. März 2007 Bezug genommen. In dieser Strafsache befand sich der Angeklagte R. vom 17. März 2005 bis zum 13. Oktober 2006 in Untersuchungshaft, und daher war das Verfahren ebenso wie die vorliegende Strafsache von Verfassungs wegen mit besonderem Nachdruck zu fördern. Der Umstand, dass der Haftbefehl sodann außer Vollzug gesetzt worden ist, hat nur zu einer geringen Minderbelastung der Strafkammer geführt, weil einerseits das Verfahren gleichwohl beschleunigt weiter zu behandeln war und ist und zum anderen die Hauptverhandlung, die bis dahin bereits an 24 Tagen stattgefunden hatte, ordnungsgemäß zu Ende zu führen ist. Der aufgrund des weiteren Vollzuges der Untersuchungshaft gegen H. höheren Bedeutung der vorliegenden Strafsache ist die Strafkammer dadurch gerecht geworden, dass die Verhandlungsdichte im Verfahren gegen R. u.a. nach der Außervollzugsetzung des Haftbefehls deutlich zurückgegangen ist, während sich die Zahl der Hauptverhandlungstage im vorliegenden Verfahren erhöht hat. Die Strafsache gegen R. u.a. ist dem Senat aus einem 6-Monats-Haftprüfungsverfahren bekannt. Es handelt sich ebenfalls um eine sehr schwierige und umfangreiche Wirtschaftsstrafsache, die einen hohen Verhandlungsaufwand erfordert. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass die Strafkammer überhaupt nur die Möglichkeit gehabt hätte, zusätzliche Hauptverhandlungstermine durchzuführen oder ausgefallene Termine nachzuholen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlungstage in beiden schwierigen und besonders umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen die Arbeitskraft der Strafkammer in besonderem Maße beansprucht. Berücksichtigt man die in der Zeit vom 20. Februar 2006 bis zum 12. Februar 2007 im Verfahren gegen H. u.a. durchgeführten 57 Hauptverhandlungstage, jedenfalls sechs ausgefallene Verhandlungstage (ohne den zur Fristwahrung in der Strafsache gegen R. u.a. ausgefallenen Sitzungstag), die in dieser Zeit durchgeführten 32 Hauptverhandlungstage gegen R. u.a. sowie die tatsächlich zur Verfügung stehenden 43 Verhandlungswochen kommt man auf eine wöchentliche Hauptverhandlungsbelastung der Strafkammer von 2,21 Tagen. Das ist nach Ansicht des Senats angesichts der erforderlichen Vor- und Nachbereitung in diesen zwei Verfahren nicht zu beanstanden.

Angesichts der Höhe der im Verurteilungsfall zu erwartenden Strafe sind Bedenken an der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Dauer der bisher vollzogenen Untersuchungshaft nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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